Die stammesgeschichtliche Entwicklung der Europäischen Sumpfschildkröte

Die Phylogenese bezeichnet unter anderem die stammesgeschichtliche Entwicklung bestimmter Verwandtschaftsgruppen auf allen Ebenen der biologischen Systematik. Der Begriff wird auch verwendet, um die Evolution einzelner Merkmale im Verlauf der Entwicklungsgeschichte zu charakterisieren Methodik:

  • Molekuargenetische Analyse der DANN, beispielsweise durch Sequenzanalyse
Aus diesen Daten kann dann ein phylogenetischer Baum erstellt werden, der die rekonstruierten Verwandtschaftsverhältnisse darstellt. Es ist ein Baum, der die evolutionären Beziehungen zwischen verschiedenen Arten oder anderen Einheiten, von denen man vermutet, dass sie einen gemeinsamen Vorfahren besitzen, darstellt. Damit ist ein phylogenetischer Baum eine Form des Kladogramms. In einem phylogenetischen Baum repräsentiert jeder Knoten mit Vorfahren den nächsten gemeinsamen Verwandten dieser Vorfahren.

Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) gibt Auskunft über die Struktur der Erbinformation.
Der als wendeltreppenförmige Doppelhelix organisierte DANN-Strang ist chemisch gesehen eine Nukleinsäure in Form eines langen Kettenmoleküls (Watson und Crick 1962).
Jedes dieser Kettenteile besteht aus einem Phosphat, dem Zucker Desoxyribose und einer der vier organischen Basen Adenin (A), Thymin (T), Cytosin (C) und Guanin (G).




Anhand bestimmter Sequenzabschnitte der DNA lassen sich Gruppen ähnlicher Individuen innerhalb einer Art unterscheiden.
Für phylogenetische Analysen verwendet man häufig Abschnitte der so genannten mitochondrialen DNA (mtDNA).
Hierbei handelt es sich um ringförmige DNA-Struktur von ungefähr 16.000 bis 20.000 Basenpaaren Länge.



Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle. Sie enthalten ringförmige DNA.

Schon bald nach der Befruchtung (Fertilisation) der weiblichen Eizelle sterben die Motochondrien der Spermien ab und innerhalb des sich entwickelnden Embryos verbleiben nur noch die mütterlichen Mitochondrien. Durch diesen Mechanismus wird dieselbe mtDNA vom Muttertier übertragen.
  • Die mtDNA wird somit ausschließlich von Generation zu Generation vom Muttertier zu ihren Kindern weitervererbt.
  • Hierbei treten nur kleine oder gar keine Veränderungen der DNA auf, verursacht durch externe Einflüsse wie beispielsweise das Klima oder durch Fehler bei der Replikation der DNA.
  • Die mtDNA ist einem natürlichen Veränderungsprozess ausgesetzt, der dazu führt, dass neue DNA-Typen entstehen und weitervererbt werden.
  • Hierdurch kann unsere heutige, individuelle mtDNA Sequenz in der Zeit soweit zurückverfolgt werden, bis eine natürliche Mutation aufgetreten ist. Im Schnitt passiert dies ca. alle 10.000 Jahre in den Kontrollregionen der mtDNA.
                                      

Das Cytochrom-b-Gen ist ein kodierendes Gen, welches für die Produktion eines lebenswichtigen Proteins verantwortlich ist, bei vielen Mutationen würde es zu dramatischen Fehlfunktionen führen.
Anhand einer Analyse eines 1074 Basenpaare langen Fragments des mitochondrialen Cytochrom b-Genes wurden bei Emys orbicularis bislang 20 unterschiedliche Haplotypen identifiziert (Lenk 1999).


Sequenzen aus dem Cytochrom-b-Gen von Emys orbicularis

                                      
                                                                                                                                   Rot: Adenin (A) Blau: Thymin (T) Grün: Cytosin (C) Gelb: Guanin (G

Die Haplotypen-Linien von Emys orbicularis



Die Haplotypen gehören sieben Hauptlinien an, die mit römischen Ziffern bezeichnet werden (I-VII). Mit Ausnahme von Linie I und II für die eine pleistozäne Aufspaltung angenommen wird, kann das Trennungsalter der anderen Linien mit 3,0 bis 4,1 Millionen Jahren veranschlagt werden.

Die Kontrollregion der mtDNA
Eine sichere Zuordnung von Emys orbicularis orbicularis zu einer bestimmten Population, ist erst durch die zusätzliche Analyse eines hochvariablen Abschnittes der mitochondrialen Kontrollregion (“CR1“) möglich. Dazu wurden von den verschiedenen Herkunftsgebieten die CR1-Sequenzen in einer Datenbank erfasst und werden nun zum Vergleich genutzt.

Für den in Europa nordwestlich verbreiteten Haplotypen IIb existieren nur noch fünf Populationen in Brandenburg, eine in Mecklenburg und einige östlich der Oder (Westpolen).
In Sachsen sind die Populationen erloschen, Einzeltiere leben noch bei privaten Haltern.


Für den in Europa nordöstlich verbreiteten Haplotypen Ia existieren Populationen in Russland, Littauen, Weissrussland, Ostpolen und auch ein Vorkommen in Westpolen (Nähe Gorzow, ehemals Landsberg an der Warthe).

Die Verbreitung der verschiedenen Haplotypen von Emys orbicularis

                                   

  • Ia: Ostpolen (östlich der Weichsel), Litauen und Teilen Russlands bis zum Schwarzen Meer

  • Ib: Bulgarien

  • Ic, Id: Osteuropäische Schwarzmeerküste

  • IIa: Ungarn (Plattensee), Österreich (Nationalpark Donau-Auen), entlang der Donau bis Frankreich

  • IIb: Südliches Mecklenburg, Nordbrandenburg und Westpolen (Odereinzugsgebiet)

  • IIIa, IIIb: Süditalien

  • IVa: Adria, Ionisches Meer (Einzugsgebiet zwischen Italien, Albanien und Griechenland)

  • IVb: Westküste Griechenlands

  • IVc: Südküste Griechenlands

  • Va: Tyrrhenis (Einzugsgebiet zwischen Korsika, Sardinien und Italien)

  • VIa, VIb: Spanien und Portugal

  • VIIa: Georgien, Dagestan

  • VIIb: Aserbaidschan, Armenien


Bilder zu den verschiedenen Haplotypen von Emys orbicularis

                                 
                    Emys orbicularis orbicularis, Haplotypen Ia, Ostpolen
            Weibchen, Ia


                     
           
Emys orbicularis orbicularis, Haplotypen Ib, Bulgarien
           
Weibchen, Ib


               
            Männchen, Ungarn Plattensee                                 Jungtiere Donauauen, Österreich
            Emys orbicularis orbicularis, Haplotypen IIa; unten: Rücken- und Bauchpanzeransicht Männchen, Ungarn
                    


            Weibchen, Haplotypen IIb, Mecklenburg
            unten:
Rücken- und Bauchpanzeransicht eines Jungtieres
             
           


            
          
Emys orbicularis hellenica, Haplotypen III,  Süditalien, Männchen haben keine roten Augen



                  
          
Rücken- und Bauchpanzeransicht eines Männchen, Emys orbicularis iberica, Georgien
          
             
           Weibchen,
Emys orbicularis iberica, Haplotypen VIIa, Georgien